Geschichte der Naturheilkunde – Eine Reise durch die Medizin
Wenn man die heute übliche Trennung der Begriffe Naturheilkunde/Heilpraktiker und Schulmedizin/Arzt in zwei Lager näher betrachtet, so wird man zu einer fatalen Fehlannahme kommen: Naturheilkunde und herkömmliche, klinische Medizin seien zwei getrennt entwickelte Disziplinen. Dies ist natürlich falsch. Sie sind im besten Fall zwei Betrachtungswinkel oder Aspekte desselben Fachs. Um diese heute übliche Trennung verstehen zu können, muss man sich die Geschichte der Medizin ansehen. Dabei wird man feststellen, dass sie beide die gleichen Wurzeln haben und nur gemeinsam wirklich komplett sind. Es hat sich leider etwas getrennt, was nie hätte getrennt werden dürfen. Vielleicht hilft ja die Betrachtung des Vergangenen, aber eben auch Gemeinsamen die Parteien wieder zusammenzuführen.
Wenn wir einen Blick in die Vergangenheit werfen werden wir feststellen, dass das erste theoretische Medizinsystem seine Wurzeln in der Antike hat-die Humoralpathologie. Viele Jahrhunderte lang sollte sie das vorherrschende Modell zur Erklärung und Behandlung von Erkrankungen sein. Etymologisch betrachtet leitet sich der Begriff „Humoralpathologie“ vom griech. humores = Säfte, pathos = Leid, logos = das Wort, die Lehre ab und meint damit die Lehre von den Leiden, die aus den Säften entstehen.
Die Humoralpathologie ist ein philosophisch geprägtes Medizinmodell. Große Köpfe wie Thales von Milet, Heraklit von Ephesus, und vor allen Denker wie Hippokrates, Aristoteles und Galen von Pergamon waren maßgeblich an der Entwicklung dieser philosophisch-medizinischen Betrachtungsweise von Krankheit und Gesundheit beteiligt. Gerade der Einfluss griechischer Gelehrter auf die römische Hochadelsschicht war so groß, dass sich diese Denkmodelle auch im römischen Reich als vorherrschende Meinung etablieren konnten. In diesem System wurde eine philosophische Betrachtung mit traditionellem Kräuterwissen und dem Willen zur empirischen Wissenserweiterung verbunden.
Dieser Einfluss dauerte fort bis zum Einsetzen des frühen Mittelalters um 500 n. Chr. und der voranschreitenden Christianisierung Europas. Waren zu Beginn des Mittelalters noch antike, heidnische Weltsichten vorherrschend, so veränderte sich das mit voranschreitender Zeit und Ausbreitung des Katholizismus maßgeblich. Schon bald waren die griechischen Originaltexte nur noch dem Klerus zugänglich und fanden dort ihr trauriges Schicksal in kirchenkonformer latinisierter Übersetzung mit Zensur. Trotz allem hatten die Klöster eine wichtige Aufgabe in dieser Zeit. Sie verwahrten und bewahrten das Wissen und die Schriften der Vergangenheit und praktizierten Medizin.
Aus den klösterlichen Pflegeeinrichtungen erwuchsen die ersten Hospitäler in Europa. Die Universitätsgründungen durch den Klerus führten dazu, dass die Medizin eine akademische Disziplin wurde, jedoch immer verbunden mit dem Erlangen klerikaler Weihen. Dies bedeutete, dass die Ärzteschaft und deren wissenschaftliches Arbeiten der kirchlichen Gerichtsbarkeit und den päpstlichen Vorgaben unterstanden. Eine jahrhundertelange Stagnation der medizinischen Entwicklung Europas war die Folge, war doch klerikal klar geregelt, welche Art der Behandlungen durch den Arzt ausgeführt werden durften und gottgefällig waren.
Doch auch in dieser Zeit gab es Stimmen, die auf die Wichtigkeit und Bedeutung der heidnisch-antiken Werke verwiesen. Albertus Magnus, klassischer Universalgelehrter, Kirchenfürst, Jurist, Philosoph, Alchemist und Naturforscher war einer der einflussreichen Menschen des 13. Jahrhunderts. Er legte den Grundstein für Naturwissenschaft. Albertus Magnus forderte, dass die antiken Schriften wieder gelehrt werden sollten. Er beschäftigte sich mit Alchemie, dem Vorgänger der Chemie, um die Gesetze der Natur und damit Gottes verstehen zu können. Kurzum seine Arbeit ist das Fundament für die Entwicklungen, die ab dem 16.Jahdt massiv voranschreiten sollten. Erst mit dem Beginn der Renaissance in 16. Jahrhundert fing man an sich von den kirchlichen Einschränkungen wirklich frei zu machen. Man studierte wieder die griechischen Originaltexte und die Geisteswissenschaften begannen an Universitäten aufzublühen.
Auch durch die Erfindung des Buchdrucks – kurz: Der Zeitgeist war wie er war und zwang maßgebende Veränderungen herbei. Dies war auch nicht durch Hexenverbrennungen und Inquisition zu verhindern. Es war die Zeit, in der Menschen wie Martin Luther, Paracelsus, Agrippa von Nettesheim und Leonardo da Vinci lebten, dachten und prägten. Gerade die italienischen Fürsten waren von jenen Denkern und Universalgenies angetan und förderten ihre Arbeiten großzügig. Diese Köpfe schafften es Meister verschiedener Disziplinen zu werden und Analogien in den unterschiedlichsten Fächern zu erkennen
und zu übertragen.
Es war auch die Epoche, in der an der Universität Padua die ersten systematischen Studien der menschlichen Anatomie gemacht wurden. Diese neue Realität drängte die theoretische, funktionelle Humoralpathologie in den Hintergrund. Man konzentrierte sich auf die Erkenntnisse auf organischer Ebene und begann eine stofflich-materiell ausgerichtete Betrachtungsweise.
Anfang des 19. Jahrhunderts begann ein Auseinanderdriften der Betrachtungsweisen. Bekennt sich Christoph Wilhelm Hufeland zur klassischen Humoralpathologie, zur Diätetik, zur Physikalischen Therapie und Makrobiotik, so bringt Samuel Hahnemann seine Lehre der Homöopathie in die Welt. Beide Größen arbeiten zu Beginn noch zusammen und schätzen einander, aber es kommt mit zunehmender Vergeistigung des Hahnemannschen Idee zum Zerwürfnis. Die Idee Hahnemanns und der Homöopathie sind bis dahin fast einzigartig. Ihre Vorstellung, Krankheit als körperliches Symptom eines übergeordneten geistigen Prozesses zu verstehen, war bisher als Ansatz nur bei Paracelsus zu finden. Allerdings über 250 Jahre zuvor und nicht mit dieser ideellen Gewichtung versehen.
Beide sollten jedoch Anfang des 20. Jahrhundert von Sigmund Freud und C.G. Jung beerbt werden. Sie entwickelte Ansätze, die die Ursachen für viele Probleme des Patienten in dessen Seele und Psyche vermuteten. Es waren geistige Ansätze, die die Medizin lange in Atem halten sollten. Als dann Mitte des 19. Jahrhunderts die bahnbrechenden Erkenntnisse des Louis Pasteur in der Mikrobiologie veröffentlicht waren, wurde der Riss zwischen den Disziplinen immer größer. Man definierte den Begriff der Infektion komplett neu und versuchte mit Hilfe der Chemie/Pharmazie diesen Mikroben, Bakterien, Pilzen u.a. zu Leibe zu rücken. Außerdem versprachen die von Pasteur entwickelten Impfungen Schutz gegen jegliche Infektion. Die eh schon umstrittene Theorie Hahnemanns wurde kurzer Hand an den Rand gedrückt, Klostermedizin und humoralpathologische Denke als veraltet abgetan. Pflanzen waren zunehmend nur noch als Wirkstoffquelle interessant, aus denen Medikamente hergestellt werden konnten.
Der pharmakologische Fortschritt eröffnete eine neue Welt. Die Entdeckung von Insulin, Cortison und Antibiotika nahm weitverbreiteten Volkskrankheiten ihren Schrecken und hygienische Standards wurden als maßgeblich wichtig erkannt. Diese Probleme waren mit der alten Medizin immer ein Buch mit sieben Siegeln gewesen. Die meisten Patienten, die früher starben ohne große Überlebenschancen zu besitzen, waren nun gerettet. Denkt man hierbei noch die Errungenschaften eines Wilhelm C. Röntgen, Henri Becquerel und Ehepaares Curie, so wird einem klar, wie rasant sich die Medizin durch den Einfluss aus Chemie und Physik veränderte. Man war in eine neue Welt aufgebrochen und vergaß bis zu einem gewissen Grad die Alte. Technischer Fortschritt und Anatomische Studien machten die Chirurgie zu einem der wichtigsten Fächer. Krankheit wurde immer leichter weggeschnitten. Eine gewisse mechanistische Denkweise von Austauschbarkeit und Reparatur breitete sich aus, der Infektionsgedanke ist( trotz seiner astrologischen Wurzel) vorherrschend. Philosophisches Denken und die Übertragsleistung auf funktionelle Zusammenhänge in physiologischen Prozessen ist nicht mehr Gang und Gebe.
Die klassische Naturheilkunde wurde daher in die Position des Gegenpols dieses mechanistischen Ansatzes der modernen Medizin gedrängt, ohne ihm seine Existenzberechtigung absprechen zu wollen. Die Möglichkeiten, die sich durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse ergeben haben, sind großartig und ein Geschenk für den Patienten. Doch sie widerlegen das empirische Wissen von über 2000 Jahren nicht.
Versteht man diese gegensätzlich erscheinenden Ansätze als 2 Seiten der einen Medaille, so muss einem klar werden, dass beide Seiten gleichwertig sind und in Ihrer Verbundenheit der Schlüssel für die Zukunft liegt. Ein Ansatz, der Anfang des 20. Jhdt. von Rudolf Steiner vorgelegt wurde und dem sich die anthroposophische Medizin verschrieben hat. Da wir aber in einer Zeit leben, in der sich alles Gewesen mit dem Gegenwärtigen vereinen kann und wir Zugriff auf Wissen in einer Menge haben, wie noch nie zuvor, ist es nun an uns, die alte Betrachtung mit der Neuen zu vereinen, um Erfahrung und Fortschritt parallel existent in die Zukunft zu führen.